C S I : UNITED
-The Story behind -
Sie lebte schon lange alleine, die Gräfin Astoria. Nur ihr Hund Waldorf war ihr ein und alles. Und wurde ihr Leben auch immer beschwerlicher mit ihren stolzen 79 Jahren, so gab ihr Waldorf jeden Morgen die Kraft, aufzustehen, das Frühstück zu machen, sich in Kleidung zu hüllen, die einer Dame gerecht wurde und hinaus zu gehen in den nahe gelegenen Wald. Dass in unmittelbarer Nähe zu ihrem Wohnort die Autobahn rauschte, störte sie schon lange nicht mehr. Ihr Gehör funktionierte nicht mehr so gut, die Sehkraft ließ nach und das Herz arbeitete schwer.
Zu gerne hätte sie sich auf ihren Sohn verlassen. Aber der meldete sich nur selten, meist, wenn er Geld brauchte und das, was er besaß, am Spieltisch verzockt hatte. So kam es, dass die Gräfin beschloß, ihren Hund als Alleinerben einzusetzen und den Notar Dr. Siggi Steinroth, selbst nicht mehr der jüngste, um einen Termin bat.
Für nächste Woche hatte er sie bestellt, um die Angelegenheit zu richten. Einen Notizzettel hatte sie sich noch an ihren Kalender geheftet, Unpünktlichkeit und Vergeßlichkeit waren keine Tugenden, die ihr eigen waren. Sie ahnte jedoch nicht, dass der heutige Tag noch einiges mit ihr vor hatte. Und das ihr geliebter Waldorf den Abend nicht mehr erleben sollte.
Gleich nach dem Frühstück zog sie sich ihren Mantel an, nahm die Hundeleine vom Haken und verliess mit Waldorf die Wohnung, leise vor sich hinmurmelnd, dass die Zeitung heute Morgen wieder nur über die Finanzkrise berichtete und die Welt immer schlechter werde. Waldorf zog wie jeden Morgen kräftig an der Leine, sobald die Unterführung durchquert war und wie gewohnt löste die Gräfin das Halsband und ließ den unternehmungslustigen Gefährten fröhlich davonjagen. Immer wieder verschwand Waldorf aus dem Blickwinkel seines Frauchens um Sekunden später wieder heranzujagen, sie zu umkreisen und wieder davon zu laufen.
Freundlich nickte sie dem netten jungen Mann zu, der mit seiner Kamera die Natur einfing. War es das Eichhörnchen, das ihn gerade interessierte oder der Vogel, der senkrecht den Baum hinauf zu laufen schien? Der Wald mit seiner frischen Luft und dem Geruch von feuchtem Holz ließ die Autobahn schnell vergessen. Da tobte der Wirbelwind erneut heran, umkreiste ein weiteres Mal die alte Dame, während der junge Mann durch die Bäume hindurch ein Foto der beiden machte und fröhlich lächelte.
Die Gräfin schritt weiter und folgte ihrem Hund, der die gewohnte Runde schon kannte. Gleich würden sie an der Bank vorbeikommen, auf der die beiden alten Schwestern immer saßen. Meist beäugten sie mißtrauisch die vorbeiziehenden Hundebesitzer und Jogger und manchmal sprangen sie auf und versteckten sich, wenn die Hunde allzu groß oder die Jogger allzu unheimlich daher kamen. Nun ja, so ganz klar im Kopf waren die beiden scheinbar nicht. Als Unbeteiligter könnte man das Schwesternpaar für unheimlicher halten als die übrigen Waldnutzer. Die Gräfin Astoria dankte innerlich ihrem Schöpfer, der ihren Körper zwar alt und schwach werden ließ, aber ihren Verstand immer noch mit einer Klarheit segnete, auf die so manch einer hätte neidisch sein können.
Ja, da saßen sie tatsächlich und schauten scheu auf den Boden vor ihnen, als die Gräfin vorbeischlenderte. Ihr armen Seelen, dachte sie und beachtete die beiden nicht weiter. Gleich hinter der nächsten Biegung würde sie wieder Richtung nach Hause gehen, vorbei an dem Gebäude, in dem sich eine Firma nieder gelassen hat, die irgendwas mit mikrobiologischen und nanotechnischen Dingen zu tun hatte. Früher gab es sowas nicht. Sie schüttelte den Kopf, wie sich die Zeiten doch geändert haben. Lautes Hundegebell riß sie aus ihren Gedanken, sie glaubte, eine der beiden Schwestern schreien zu hören, eine Männerstimme rief wütend etwas, aber aus der Entfernung konnte sie nicht verstehen, um was es ging. Waldorf, der sich etwas hatte zurückfallen lassen, kam wieder angelaufen und nahm die Geschwindigkeit der Gräfin an. "Na, mein Bester, hast du die verrückten Schwestern erschreckt?", sprach die Gräfin zu ihrem treuen Freund und fragte sich, ob die beiden alten von ihren Bänken aufgesprungen sind. "Du weißt doch, dass sie keine Hunde mögen, oder hat dieser junge Mann versucht, die beiden zu fotografieren? Ich wette, das mögen sie auch nicht". Die Gräfin lächelte innerlich.
Gemächlich gingen sie Seite an Seite ein Stück des Weges. Ein wenig verwundert schaute die Gräfin drein, denn bevor sie erneut an die Unterführung gelangten, stoppte Waldorf nie seine Jagd nach was auch immer und trabte nie einfach nur neben ihr her. Auch schien ihr Hund etwas ausser Atem zu sein, ging schwerfällig und schien etwas trübe aus den Augen zu schauen. "Waldorf? Du willst mir doch wohl nicht krank werden? Vielleicht sollte ich mit dir mal zum Tierarzt. Waldorfs Magen schien zu rumoren, etwas Schaum bildete sich vor seinem Maul und er ging langsam zum Wegesrand und drückte ein Würstchen raus. Mühsam scharrte er etwas Laub darüber und setzte seinen Weg fort. Vollkommen in ein elektronisches Gerät vertieft, welches sie schon mal an der Scheibe eines Autos gesehen hatte, raste ein Mann an ihnen vorbei und fluchte, "ich kann es nicht finden".
Ja, er torkelt etwas, dachte die Gräfin, ob er was falsches gegessen hat? Nach wenigen Metern hörte sie ein lautes Gezeter. Ach, der schon wieder, als wenn die Welt nicht genug Verrückte hätte. Dieser Herr Petling aus dem Haus schräg gegenüber, der treibt sich hier ja auch immer rum. Ja, schimpf du nur, nur weil mein Waldorf mal mußte. Ich bin 79 Jahre alt, ich kann mich nicht jedes Mal bücken, um alles wieder einzusammeln. Herr Petling war bekannt dafür, dass er sich immer abseits der Wege versteckt hielt, um kleine Kinder zu beobachten, die zum Spielen in den Wald kamen. Im Grunde war er harmlos, wollte früher mal was großes in der Getränkeindustrie werden, aber es hat wohl nicht ganz gereicht. Jetzt steht er da im Wald und zetert. Waldorfs Vorderläufe knicken ein und die Zunge baumelt schlaff aus dem Maul. Die Gräfin schaut irritiert zu Waldorf, dann wieder zu Petling und wieder auf Waldorf. "Waldorf?", rief die Gräfin besorgt, dann wurde ihr schwarz vor Augen und eine Ohnmacht umhüllte sie und sollte sie so schnell nicht mehr freigeben. Ihr Hund war nicht mehr.